Eine Seite, Eine Geschichte

Sprachbarrieren



Ich stehe vor der lackierten Holztür meines Klassenraums und versuche mit schierer Willenskraft zu verhindern, dass ich mich hier und jetzt auf den Boden übergebe. «Du schaffst das, Travis.», rede ich mir selbst gut zu und blicke dann über meine Schulter, um zu sehen, ob mich nicht jemand beobachtet. Man sollte erwarten, dass mir die Leute an einem Tag wie diesem die Klassenzimmertür einrennen, um einen Blick auf meine neuen Studenten zu erhalten. Aber natürlich ist das Wunschdenken. Vor etwa drei Jahren habe ich mir den Groll meiner Kollegen und der Rektorin zugezogen. Sie geben mir die Schuld an einem Unglück, dass ich unmöglich hätte verhindern können. Diese neue Klasse ist, wenn ich es mir recht überlege, vermutlich ein weiterer Versuch mich dafür zu bestrafen, dass ich damals zu spät kam.

Als ich sicher bin, dass ich meinen Magen unter Kontrolle habe, strecke ich meine Hand nach der Türklinke aus. Die Kühle des Metalls steht in einem krassen Gegensatz, zu meiner überhitzen Haut. Noch einmal tief durchatmen. Ich drücke die Klinke herunter und trete mit schnellem, zielstrebigem Schritt vor die Klasse.

Der Raum wird ausgefüllt von dieser speziellen, aufmerksamkeitsraubenden Präsenz, die ich bisher nur einmal in meinem Leben gespürt habe. Fünf, definitiv menschenähnliche Wesen stehen mitten im Raum und sehen sich um. Mein Erscheinen hat ihren Fokus allem Anschein nach nicht auf mich gerichtet, denn keiner dreht sich zu mir um, oder schaut mich an. Und so nehme ich mir die Zeit, um sie in aller Ruhe zu mustern.
Die fünf haben Körper von einem ähnlichen Körperbau wie wir. Vielleicht sind ihre Beine etwas länger und die Augen etwas grösser. Aber nur vielleicht. Was aber klar sichtbar oder eben nicht sichtbar ist, sind Geschlechtsmerkmale. Die typisch menschlichen Charakteristiken von Männern und Frauen fehlen den Ausserirdischen komplett. Das einzige Indiz, dass mir möglicherweise erlaubt auf das Geschlecht der Wesen vor mir zu schliessen, sind ihre Haare. Entgegen aller Marsmännchen-Vorstellungen, die die Menschheit hat, haben diese Wesen nämlich Haare auf dem Kopf, die sie zu ästhetischen Frisuren hochgesteckt haben. Drei davon sehr kunstvoll, hoch aufgetürmt mit eingeflochtenem Schmuck. Die anderen beiden haben zwar ebenfalls geflochtenes Haar, aber es ist bei weitem nicht so eindrucksvoll geschmückt. Vielleicht erkennt man so, wer männlich oder weiblich ist?

Zwei Dinge irritieren mich mehr als alle anderen. Zum einen die Stille. Keines dieser Wesen gibt auch nur den geringsten Mucks von sich. Trotzdem scheinen sie zu kommunizieren. Auch ihre Bewegungen sind komplett lautlos, fast schon geisterhaft. Das andere, was mich fast schon zu stören beginnt, ist der Geruch. Jeder Mensch hat einen Eigengeruch. Das ist klar. Das scheint auch bei meinen neuen Studenten nicht anders zu sein. Aber diese Ausserirdischen haben entweder eine ziemliche schräge Vorliebe für exotische Parfüms oder einfach keine Körperhygiene. Es ist nicht so, dass es nach Schweiss riecht in dem Raum. Viel mehr riecht es nach Zeit. Nach uralten Büchern, nach abgestandener Luft – was umso komischer ist, da die Fenster geöffnet sind -, nach Mottenkugeln und verwelkenden Blumen.

Unverzüglich merke ich, wie ich die Luft angehalten habe. Ich drehe mich zum Fenster und atme tief durch. Besser. Als ich mich umdrehe, habe ich auch endlich die Aufmerksamkeit der Truppe in meinem Zimmer erreicht.
«Gut. Also … setzt euch doch.», richte ich mich ungelenk an meine Klasse und nehme selbst einen Stuhl, um mich zu ihnen zu setzen. Ausdruckslose Blicke schauen mich an. Ich deute auf die Stühle rund um uns herum. Zögerlich, aber dennoch sehr anmutig, bewegen sie sich auf die Stühle zu und lassen sich darauf nieder.
«Wo fangen wir an.», murmle ich zu mir selbst und entscheide dann, auf die gleiche Weise wie immer zu beginnen. Das hat sich bis jetzt schliesslich bewährt.
«Hallo, ich heisse Travis. Wie heisst du?», ich wende mich einem der Ausserirdischen mit der kunstvoll aufgetürmten Frisur zu.
Sie (er?) öffnet ihren Mund. Unverständliches Gekreische ist die Antwort.
Ich verziehe das Gesicht und halte mir die Ohren zu. «Zu laut, zu laut! Stopp!», rufe ich in den Lärm hinein und zeige auf meine Ohren.
Das menschenähnliche Wesen sieht tatsächlich betroffen aus und schliesst den Mund wieder.
«Das muss leiser sein.», versuche ich zu erklären, in dem ich meine Worte mit grossen Gesten untermale und zu flüstern beginne. «Also noch mal», sage ich ganz ruhig, «wie heisst du?» und ich deute erneut auf denselben Ausserirdischen Studenten.
Diesmal öffnet er (sie? Ist es unhöflich, nach dem Geschlecht zu fragen?) den Mund nicht. Stattdessen höre ich eine Stimme direkt in meinem Kopf.
«Ich heisse Tichzzschtar.»
Mir bleibt der Mund offenstehen und ich starre die Fünf ungläubig an. Das würde dann auch erklären, warum ich so gar nichts von einer Konversation gehört habe, als ich den Raum betreten habe. Als niemand auf mein Erstaunen reagiert, schliesse ich ihn wieder und nicke.
«Das war gut Tich…s…»
«Tichzzschtar», fällt mir das Wesen ins Wort.
Ich versuche, den Namen nachzusprechen, scheitere aber mehrere Male hintereinander und sehe die Fünf entschuldigend an. «Ti?», sage ich fragend und deute wieder auf denselben Ausserirdischen. Er nickt. «Travis.», ich deute erneut auf mich selbst.
Ti wiederholt meinen Namen ohne Probleme und ich komme mir als Lehrer für Sprache ein bisschen vor wie ein Idiot.

Das kann ja noch heiter werden, denke ich und beginne damit, auch alle anderen nach ihrem Namen zu fragen und zumindest den Teil davon, den ich aussprechen kann, für die nächste Lektion aufzuschreiben.

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